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"Grenzraum" - ein Buch über uns hier
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Begegnungen an Oder und Neiße. Einen Sommer lang war die Autorin Beatrix Flatt mit dem Fahrrad sowie großer Neugier, Empathie und Offenheit entlang der Flüsse Oder und Neiße unterwegs. Sie traf Menschen, die auf beiden Seiten der 468 Kilometer langen deutsch-polnischen Grenze leben, arbeiten und sich auf vielfältige Weise für ein Zusammenwachsen engagieren. Davon zeugt nun ihr Buch "Grenzraum Begegnungen an Oder und Neiße".
Beatrix Flatt traf Lausitzerinnen und Lausitzer, die ihre länderübergreifende Nachbarschaft pflegen und mit Leben füllen. Entstanden sind inspirierende Reportagen aus einer Region, in der "das Denken in Nationalstaaten trotz sprachlicher und kultureller Unterschiede immer unwichtiger wird", wie sie sagt. Vielmehr entwickelt sich nach und nach ein Grenzraum mit seiner ganz eigenen Grenzidentität.
Egal wie es um die Beziehungen zwischen den Regierungen in Berlin und Warschau gerade bestellt sein mag, die grenzüberschreitenden Verflechtungen werden immer enger. Mit Visionen und Beharrlichkeit können Brücken gebaut, wirtschaftliche, administrative sowie kulturelle Hürden abgebaut und aus Nachbarn Freunde werden. Davon erzählen die Geschichten in diesem Buch. Anlass für uns beim Unbezahlbarland-Blog, die Autorin zum Interview zu bitten.
Beatrix Flatt auf ihrer Rad-Recherche-Reise entlang der Oder
Guten Tag, Frau Flatt, Sie Sind Autorin des Buches „Grenzraum – Begegnungen an Oder und Neiße“. Was hat Sie dazu bewegt, sich ausgerechnet für die Oder-Neiße-Grenze als Thema Ihres Buches zu entscheiden? Gab es ein bestimmtes Ereignis oder Erlebnis, das den Anstoß gegeben hat?
Beatrix Flatt: Ich lebe seit über 30 Jahren in Helmstedt direkt an der ehemaligen innerdeutschen Grenze am heutigen Grünen Band. Als ich aus Bayern in diese Region kam, waren die meisten Grenzanlagen abgebaut und die alten Verbindungsstraßen zwischen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt waren bereits wieder geöffnet. Aber der Kolonnenweg entlang der ehemaligen Grenze mit einer Länge von fast 1400 Kilometer ist noch teilweise erhalten. 30 Jahre nach Grenzöffnung, zum Jubiläum 30 Jahre Grünes Band machte ich mich auf den Weg, um dieses Grüne Band, die ehemalige innerdeutsche Grenze zu Fuß zu erwandern. Als freie Journalistin war für mich klar, dass ich nicht nur wandere, sondern mit Menschen, die dort leben, arbeiten und sich engagieren ins Gespräch zu kommen. Entstanden ist das Buch „Grenzenlos – Begegnungen am Grünen Band“. Und so entdeckte ich Grenzen als Nahtstellen, die nicht nur trennen, sondern Verbindungen schaffen können. Diese Recherche weckte mein Interesse für Grenzen und ich beschäftigte mich mit der Geschichte der Oder-Neiße-Grenze und recherchierte vor Ort, was es für die Menschen heute bedeutet, in diesem Grenzraum zu leben.
Während Ihrer Reise entlang der deutsch-polnischen Grenze haben Sie viele Menschen getroffen. Gibt es eine Begegnung, die Sie besonders bewegt oder nachhaltig beeindruckt hat?
Beatrix Flatt: Diese Frage kenne ich und eine Antwort fällt mir schwer, denn das Faszinierende für mich ist eigentlich die Vielfalt der Themen und die unterschiedlichen Herausforderungen, die Menschen in dieser Region meistern.
In Ihrem Buch sprechen Sie von einer „Grenzidentität“, die sich in der Region entwickelt. Wie würden Sie diese Grenzidentität definieren und was macht sie Ihrer Meinung nach so einzigartig?
Beatrix Flatt: Der Begriff Grenzidentität stammt nicht von mir, sondern Dana Jesswein hat ihn verwendet. In meinem Buch zitiere ich sie folgendermaßen: „Die Grenzen verblassen und es wird immer unwichtiger, ob man in Polen oder Deutschland lebt, polnische oder deutsche Staatsangehörigkeit hat.“
Sie erwähnen, dass das Denken in Nationalstaaten zunehmend an Bedeutung verliert. Wie sehen Sie die Rolle der EU oder anderer supranationaler Organisationen in diesem Prozess des Zusammenwachsens?
Beatrix Flatt: Polen ist seit 2004 Mitglied der Europäische Union und seit 2007 Mitglied des Schengenraums. Somit können sich Menschen und Waren frei bewegen. Das ist die Voraussetzung für grenzüberschreitende Zusammenarbeit in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und kultureller Hinsicht. Möglichkeiten und Gelegenheiten sich über Grenzen hinweg unkompliziert zu begegnen und austauschen können, ist die Voraussetzung, dass sich Freundschaften über Grenzen hin weg entwickeln können. Menschen lassen sich in der Regel dort nieder, wo sie die meisten Chancen haben. Die vier grenzüberschreitenden Euroregionen, die es entlang der deutsch-polnischen Grenze gibt, haben hier bereits einen großen Beitrag geleistet und wichtige Impulse gesetzt. Globale Herausforderungen wie Klimawandel, Migration, Sicherheit, Terrorismus oder Pandemien lassen sich nicht auf nationaler Ebene lösen. Wichtig ist es aber Strukturen zu schaffen, dass sich Menschen sich unkompliziert begegnen können. Wo sich Menschen begegnen, Freundschaften schließen und ähnliche Wertesysteme teilen, wird die nationale Herkunft immer unwichtiger.
Wie haben die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und Polen das Leben in dieser Grenzregion geprägt? Sehen Sie eher Herausforderungen oder Möglichkeiten in diesen Unterschieden?
Beatrix Flatt: Wichtig ist zunächst, dass jeder die Geschichte des anderen zumindest in den Grundzügen kennt, um sich mit Verständnis und auf Augenhöhe zu begegnen. Wir reisen in andere Länder, um andere Kulturen kennenzulernen. Hier an der deutsch-polnischen Grenze treffen die Kulturen aufeinander und vermischen sich. Das ist doch eine Bereicherung. Das setzt aber Offenheit und Neugier voraus. Und es gehört auch dazu, das andere nicht zu bewerten. Wenn man Bereitschaft hat, den anderen kennenzulernen, dann werden die Herausforderungen zu Chancen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft dieser Region? Welche Entwicklungen würden Sie gerne sehen, und welche Rolle könnte Ihr Buch dabei spielen, dieses Bewusstsein zu fördern?
Beatrix Flatt: Ich wünsche mir, dass die Menschen sich auf beiden Seiten der Flüsse noch mehr begegnen, dass die Menschen auf beiden Seiten die jeweilige Nachbarsprache lernen oder zumindest verstehen, dass es selbstverständlich ist, dass Kinder und Jugendliche Kindergärten und Schulen unabhängig von Ländergrenzen besuchen können. Ich wünsche mir, dass Polen und Deutschland gemeinsam auf die wechselvolle Geschichte dieser Region blicken. Das Buch stellt Menschen vor, die sich als Brückenbauer im deutsch-polnischen Grenzraum als Voraussetzung eines starken Europas sehen. Ein Interviewpartner formulierte es folgendermaßen: „Europa muss an den Nahtstellen funktionieren, sonst funktioniert Europa nicht.“
Dankeschön für das Gespräch!
Wer jetzt Lust auf das Buch bekommen hat, wendet sich am Besten an die nächstgelegene Buchhandlung seines Vertrauens oder bestellt hier direkt beim Verlag.
Und wer sich für ein deutsch-polnisches oder deutsch-tschechisches Projekt stark machen möchte, kann hier in das länderübergreifende Interreg-Programm hineinschauen und uns zur möglichen Antragstellung