Nachgefragt: Per Wiesner zu Erneuerbaren Energien

Nachgefragt: Per Wiesner zu Erneuerbaren Energien

Bürgermeister Per Wiesner: „Für uns ist die Energiewende der Rettungsanker.“ ENO-Projektmanager Per Wiesner ist seit 2020 ehrenamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Neißeaue und verspricht sich viel von Erneuerbaren Energien.

Der Wirtschaftsinformatiker hat als IT-Consultant in der Schweiz und den Niederlanden gearbeitet und ist 2010 in den Kreis Görlitz zurückgekehrt. Neißeaue hat 1.700 Einwohner, acht Ortsteile, drei Kitas, eine Grundschule und einen Hort. Mit Per Wiesner sprach Christine Keilholz, Herausgeberin der des Deep Journalism-Verticals Neuen Lausitz.

Wie viele strukturschwache Gemeinden verspricht sich Neißeaue im Kreis Görlitz viel von erneuerbaren Energien. Doch nun liegen viele Projekte auf Eis. Bürgermeister Per Wiesner berichtet bei uns im UBL-Blog im Nachklapp zum Ostdeutschen Energieforum, bei dem er als Energie-Experte und Podiumsdiskutant geladen war, woran es liegt.

Herr Wiesner, wie können wir schneller werden bei der Energiewende?

Indem für den Ausbau erneuerbarer Energien geeignete Gebiete auch infrastrukturell so erschlossen werden, dass sie ihren Beitrag für die Energiewende leisten können.
Wir sind eine ländliche strukturschwache Gemeinde, darüber hinaus nicht mit Ackerböden gesegnet, die Landwirtschaft attraktiv machen. Wir haben auf dem Gemeindegebiet ein ausgewiesenes Vorranggebiet für die Errichtung von Windkraftanlagen und unsere Landwirte möchten mit Unterstützung der Gemeinde in größerem Umfang Agri-PV errichten.

Wie steht Neißeaue wirtschaftlich da?

Wir haben einen Gesamthaushalt von vier Millionen Euro jährlich. Das Geld reicht hinten und vorn nicht. Allein mit Pflichtaufgaben wie Kitas, Bauhof und Feuerwehr haben wir ein jährliches Minus von 100.000 Euro im Haushalt. Deswegen war für uns Energiewende ein Zukunftsthema, wo wir uns richtig reingekniet haben. Mit den Vergütungsmöglichkeiten aus dem EEG 2021 und 2023 konnten wir die Bürger überzeugen, dass das eine Zukunft sein könnte.

Klingt so, als hätte sich die Euphorie inzwischen gelegt.

Hat sie leider. Wir hatten auf das Thema fokussiert, weil es Repowering Angebote gab für einen Teil der Windkraftanlagen, die wir stehen haben. Wir haben auch zwei Agri-PV- Anlagen in Planung. Aber diese Projekte liegen zurzeit alle auf Eis.

Warum?

Wegen nicht vorhandener Infrastruktur. Uns fehlen die Netzanschlüsse, um den produzierten Strom wegzukriegen. Das ist bitter und frustrierend. Trotz fertiger Bebauungspläne, trotz vorhandener Investoren kommen wir nicht weiter bei einer so wichtigen Sache.

Und nun?

Tja, wir können nicht absehen, wann das weitergeht. Wann wir letztlich auch mit den soliden Einnahmen rechnen können, die für uns in dem Thema stecken. Wir hatten uns auf diese Projekte intensiv fokussiert in der HoUnung, dass 2023 oder 2024 Geld fließt. Die Anlagen hätten 400.000 Euro im Jahr an Beteiligung in die Kasse gebracht. Nun sind wir soweit, dass wir Fördervorhaben im Rahmen von mehreren 100.000 Euro, die schon genehmigt waren, zurückgeben müssen. Die Eigenmittel dafür können wir uns nicht mehr leisten.

Heißt das, der Strukturwandel, finanziert durch das Investitionsgesetz Kohleregionen, fällt in Neißeaue fürs Erste aus?

Im Prinzip ja. Damit stehen wir ja nicht allein, das berichten mir viele Kollegen aus der Umgebung. Die sind als Gemeinden einfach pleite und haben keine Möglichkeit, zehn Prozent Kofinanzierung aufzubringen für solche Vorhaben. Da geht es uns allen gleich. Die Energiewende wäre ein Rettungsanker für uns ländliche strukturschwache Gemeinden, deswegen machen wir uns dafür stark.

Liegt das Problem nun im fehlenden Tempo? Oder steht etwas anderes im Weg. Die Netze für Strom und Wasserstoff sind ja in der Planung.

Das sind sie zwar, waren sie aber auch schon vor fünf Jahren. 2021 sagte man, spätestens 2026/27 ist alles fertig. Jetzt wissen wir, das wir auch 2030 noch keine Anschlussmöglichkeit haben werden. Die Strominfrastrukturen wurden in der Vergangenheit nach den Bedürfnissen der großen Verbraucher gebaut. Jetzt müsste man sie nach den Bedürfnissen vieler kleiner Erzeuger bauen. Ich kann aber nicht erkennen, dass das passiert. Wir haben im Kreis Görlitz beste Voraussetzungen für Erneuerbare, wir könnten in jedem Ort produzieren und in die großen Industrieorte liefern. Nach Dresden in die TSMC-Fabrik oder nach Schwarze Pumpe. Wenn ich aber in die Netzpläne schaue, sehe ich in der Oberlausitz ein großes Nichts.

kl coll wfo

Bild: Damit in der Oberlausitz nicht, wie Per Wiesner sagt, "das ganz große Nichts" ensteht, engagiert sich die ENO u.a. regelmäßig und z.T. auch federführend beim Wasserstoffforum Oberlausitz - wie hier beim 4. WFO - den ganzen Bericht finden Sie hier

Solche Netzpläne legen aber fest, wo in Deutschland künftig mit Grünstrom verdient werden kann. Also wer prosperiert und wer abgeschnitten bleibt.

Netzausbau ist aus meiner Sicht verbrauchsorientiert. Wir versuchen im Landkreis mit allen Mitteln zu aktivieren und zu trommeln, damit uns die Netzbetreiber sehen. Aber es ist leider so: Viele kleinere und mittlere Erzeuger einzuspeisen, das ist für die Verteilnetzbetreiber nicht interessant. Das kostet viel Geld, die Leitungen zu bauen. Die Entgelte zahlt aber nur der Verbraucher. Eigentlich ist das absurd. Wir brauchen dringend Erzeugungskapazitäten, da auch neue Industriezweige immer mehr Strom benötigen. Die Netzbetreiber schauen aber nur auf die Versorgung. Die bauen da aus, wo Versorgungsengpässe sind. Wo der Strom herkommt, interessiert weniger.

Dabei ist die Oberlausitz ja Energieregion.

Wir sind Energieregion, aber eben keine große Verbraucherregion. Das müssten wir aber, damit man sich jetzt um uns kümmert, damit wir unseren Strom auch ausliefern können. Auf die ländlichen Regionen kommt es an, wenn man mehr Grünstrom produzieren will. Das Gleiche gilt für WasserstoU. Da sind wir in der Mitte Deutschlands leider auch im toten Winkel. Alle reden davon, dass man die Leitungen von Norden, wo produziert wird, nach Süden bekommen muss, wo die großen Fabriken stehen. Da kann ich als Bürgermeister vom östlichen Rand noch so lange rufen, dass auch wir Erzeuger sind.

Welche Produzenten haben unter diesen Bedingungen die besten Karten?

Produzenten in strukturstarken Regionen. Bei uns sind es dann lediglich die Regionen um die Kraftwerke, die heute Braunkohle verfeuern. Dort ist die Infrastruktur ja schon vorhanden. Auf die Lausitz bezogen, ist das dann zwar gut und wichtig für die Regionen rund um die Tagebaue, aber für uns bleibt weiter die Perspektivlosigkeit.

Was muss passieren?

Es muss ein deutlich besserer Ausgleich zwischen Erzeugung und Verbrauch entstehen. Wir brauchen Infrastrukturen in strukturschwachen Regionen. Wahrscheinlich müssen wir Kommunen dafür am Ende selbst sorgen, indem wir Sammelnetze bauen, die an einem einzigen Punkt ins Verteilnetz einspeisen. Wir haben das für den Kreis Görlitz mal ausgerechnet. Das würde 250 Millionen Euro kosten. Das können wir uns als Kommunen nicht leisten. Da müssten uns Bund und Land unter die Arme greifen.

 

Die UBL-Blogredaktion dankt Christine Keilholz (unten rechts im Bild) herzlich für die Möglichkeit der Übernahme des Interviews.

 CK NL

 

Es erschien zuerst in Neue Lausitz am 17. September 2024.

 

WFO COLL
 

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