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"Die Jugend muss ernster genommen werden" - Transformationsforscherin Franziska Stölzel im Gespräch
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"Die Jugend muss ernster genommen werden" - Transformationsforscherin Franziska Stölzel im Gespräch
Wenn man sich ein wenig mit der Strukturentwicklung und den (akademischen) Diskussionen rings um den Kohleausstieg in der Lausitz befasst, kommt man an ihr nicht vorbei. Franziska Stölzel ist eine der jungen Frauen, die sich beruflich und privat für die Lausitz engagieren. Sie kommt aus Weißwasser – und lebt wieder dort.
Franziska studierte Management Sozialen Wandels an der HSZG, war für die Universität Graz (AT) in einem Forschungsprojekt für europäische Kohleregionen und bereiste die Welt. Mittlerweile ist sie Ansprechpartnerin für überregionale Medien, vor allem, wenn es um die sozialen Herausforderungen, denen unsere Region gegenübersteht, geht.
So analysiert Franziska z.B. für Die Zeit, warum junge Menschen, insbesondere gut ausgebildete Frauen, aus der Region abwandern und nicht planen, zurückzukehren. Sie erklärt aber auch Schülern den Strukturwandel und forscht und lehrt international aus und über Kohleregionen. Gute Gründe, sie um ein Interview für unseren plusmimus.com-Blog zu bitten!
Franziska, warum gibt es so wenige wie Dich – oder anders gefragt: welche Rahmenumstände müssen sich deinem Forschungsstand nach ändern, damit junge Menschen ihre Zukunft in der Lausitz gestalten wollen?
Die Lausitz und andere ostdeutschen Regionen haben mit den höchsten Altersdurchschnitt in Europa. Es gibt weniger junge Menschen, die sich engagieren können. Zudem gibt es lange Wege und wenig Mobilität, was vor allem für junge Menschen wenig attraktiv ist. (Anm. d. Red.: wir arbeiten auch hier an der Verbesserung!) Als größte Herausforderung sehe ich allerdings, dass die jungen Menschen, ihre visionären Ideen und innovativen Vorstellungen in unser überalterten Region wenig ernst genommen werden. So wird ihnen oft von klein auf die Begeisterung für die eigene Kreativität und das große Denken genommen. Das ist schade - da müssen wir uns alle selbst reflektieren.
Du arbeitest und forschst mit internationalen Universitäten und Studierenden zum Thema der Transformation während oder nach dem Kohleausstieg. Gibt es etwas, was wir z.B. (besonders) gut machen?
Die Arbeit der zivilgesellschaftlichen Akteure ist ein Vorbild für viele Partner in anderen Ländern. Oft haben Menschen aus ihren eigenen Visionen und durch wenige Hände Großes erschaffen. Manchmal hat es Jahrzehnte gedauert, manchmal nur Monate. Das schätze ich an den Orten wie dem Soziokulturellen Zentrum in Weißwasser, der Kaiserlichen Postagentur in Raddusch oder unserem Frauennetzwerk F wie Kraft.
Gibt es etwas, was wir von anderen Kohleausstiegs-Regionen lernen oder übernehmen könnten?
Natürlich können wir uns von anderen Kohleakteur*innen viel abschauen. Das oft Erstaunliche ist für mich immer wieder, dass wir oft über Kohlearbeiter*innen, aber nicht mit ihnen sprechen. Die Sorgen und Nöte kennen wir zwar, aber es gibt kaum begleitete Programme, in denen wir von Azubis bis Senior*innen, also mit den Personen, die direkt vom Ausstieg betroffen sind, ins Gespräch kommen.
Hast Du ein konkretes Beispiel dafür, wie man das besser machen kann?
Ja - z.B. in Kolumbien gehen die Organisationen direkt auf die Angestellten zu und organisieren gemeinsamen Austausch. Ich habe bei meinem letzten Vortrag vor kolumbianischen Arbeiter*innen in der Kohle unseren Kurs in Deutschland erklärt und ihre Frage war: „Wie oft reden Sie mit den Menschen die im Tagebau oder Kraftwerk arbeiten?“ Da wurde mir wieder klar und musst es deutlich sagen: Gar nicht! Das war mir sehr unangenehm und da wusste ich, das muss (s)ich ändern.
Du engagierst Dich im Netzwerk „F wie Kraft“. Wie können sich Frauen dort einbringen, wie kann man sich diese „Lobbyarbeit für Frauen“ vorstellen?
"F wie Kraft" ist ein offenes und mittlerweile ziemlich großes Netzwerk geworden. Ich bin mir sehr sicher, dass jede Frau, die Interesse hat, mal zum Online-Stammtisch einzuschalten auch ein zweites Mal dabei sein wird. Wir alle schätzen diesen Rahmen an Verbündeten, den Spirit, wenn man an der gleichen Sache dran ist. Das verbindet und stärkt uns.
Braucht es wirklich ein „Genderbudget“ im Strukturwandel, wie Dr. Julia Gabler, Vertretungsprofessorin im Studiengang Management Sozialen Wandels an der Hochschule Zittau/Görlitz, fordert?
Der Frauenmangel in Ostdeutschland ist größer als in den Nordpolregionen Europas. Wir haben kaum Frauen in Leitungs/Führungspositionen. Wir haben eine hohe Abwanderungsquote vor allem von jungen, qualifizierten Frauen. Wir leben in einem System in dem Frauen die Pflegetätigkeit von Familie neben dem Beruf stemmen und die Entscheidungen für die Lausitz fällen wir (jungen) Frauen definitiv nicht. Die Nachteile sind so gravierend, dass es ein Genderbudget hätte längst geben müssen. Wir profitieren alle von starken und unabhängigen Frauen. Das sieht man sehr deutlich an denen, die bereits viel erreicht haben und jeden Tag erreichen. Ein Genderbudget ist aber nicht nur für Frauen oder Mädchen da. Auch gut ausgebildete Männer verlassen die Lausitz.
Was sind deine persönlichen Wünsche und Ziele – und welche hast du für die Lausitz?
Mein größter Wunsch wäre, dass Kohleausstieg und Strukturwandel transparent und nachhaltig gestaltet werden würde. Wir haben derzeit wenig Einblick in die tatsächlichen Gremien, die über enorme Summen an Steuergeldern entscheiden. Zudem erwarte ich mehr Förderung für die Zivilgesellschaft und Diversität im Wandel. Wir haben nicht nur eine Energiewende zu wuppen, sondern auch ein Erstarken von Populismus und rechtsradikalem Denken zu bekämpfen. Wir haben es jetzt in der Hand unsere Zukunft zu gestalten. In uns liegt die Verantwortung zukünftigen Generationen einen Staffelstab für einen neuen Transformationsabschnitt zu übergeben. Ich hoffe, dass dieser positiver ist, als der den meine Generation bekommen hat.
Hab vielen Dank für das Gespräch. Wir freuen uns, an dieser Stelle bald schon mehr von Deinen Forschungen und Deiner Sicht auf die aktuellen Entwicklungen zu lesen.
Habt Ihr, liebe Leserinnen und Leser, Ideen für die Entwicklung unserer Heimat? Wünsche, Anregungen, Projektideen oder Kritik?
Wer Lust bekommen hat, sich von Franziska Stölzel live inspirieren zu lassen und über ein tolles Projekt lernen will (das auch von der ENO mitbetreut wird), kann sie am Donnerstag, den 8. September live in der Synagoge Görlitz erleben. Dort stellt Franziska ab 18:30 Uhr zusammen mit weiteren Vertreterinnen und Vertretern das Konzept des LAB Bauforschungszentrums für die Lausitz vor.
Foto: Tine Jurtz
Vielen Dank für die Bewertung dieses Beitrags.